von Jakob Fritz, Teilnehmer

Um 11:30 Uhr haben wir uns alle eingefunden in dem leicht versteckten, auf Anhieb gemütlich anmutenden Arbeitsraum, der mit seinem runden Teppich und seinen warmen Farben von kreativen und fröhlichen Musik-Geschichten erzählt. Es wird uns nicht schwer fallen, uns hier in Kleinkinder, Schulkinder – oder einfach in mit Begeisterung lernende Erwachsene – zu verwandeln.

Zu unserer Sicherheit hat jeder etwas mitgebracht, wovon man sich ernähren kann. Angesichts der schon bereit stehenden Suppen scheint das fast übertrieben. Aber kognitive und dabei körperliche Beschäftigung braucht viele Kalorien, das wissen wir ja.

Auf Klänge und Rhythmen, die wir mit Musik assoziieren würden, müssen wir erst mal noch warten, aber es geht trotzdem musikalisch los. Von Lisa, die uns als Tänzerin und Choreografin mit Labens Antriebsqualität „Fluss“ bekannt machen will, werden wir sofort in die Welt der Bewegung entführt. Eine gute Stunde verbringen wir mit Erkunden und Kennenlernen, auch mit Wiedererinnern unseres eigenen Bewegungspotentials. Ausdruckskraft, Verbindung zum Eigenen inneren Empfinden, tragen lassen von Bildern, von Ideen. Wir erleben ein Spannungsfeld, das gut tut: Möglichkeiten und Grenzen – und Spontaneität.

Dann kommen wir tatsächlich mit Musik in Kontakt: wir dürfen mit dem Körper hören. Vielleicht geht es kleinen Kindern ganz ähnlich, wenn sie mit ihrem absorbierenden Geist Musik hören. Spontane oder gezielte Reaktionen auf das, was wir hören wechseln sich ab mit treiben lassen, folgen. Jeder erlebt diese Musik anders, aber jeder erlebt sie intensiv. Das Besondere ist, dass wir uns in Zuschauer und Akteure geteilt haben und für mich entsteht der Gedanke: so könnte Musik machen immer sein: Auf der Bühne ist das Erleben von Musik und im Zuhörer-Raum lauschendes Miterleben.

Nach anderthalb Stunden sind wir also ganz angekommen und schon beim Essen gehen die Gespräche los. Wir sind eine bunte Truppe: Früherziehung, Instrumentalunterricht, Schulklassen, Visionen, eigener Lernwille. So bunt wie es immer ist, wenn ich mit MLT in Berührung komme; immer wieder die neue Entdeckung: eigentlich können doch alle Altersgruppen dadurch etwas ganz neues über Musik und in Musik entdecken; was schon Kindern ermöglicht werden sollte, fehlt doch auch uns noch irgendwie: Akkulturation – mal wirklich ganz wahrnehmen, was Musik ist.

Wir verbringen den restlichen Tag allerdings nicht ausschließlich mit Musik-Absorption. Wie gut, dass die ersten Entwicklungsstufen in den höheren auch noch enthalten sind! Statt dessen begeben wir uns in den Kreis, in dem sonst Claudias Kinder-Gruppen mit ihren Müttern sitzen und geben der Reihe nach den Staffelstab weiter. Dabei hat jede*r die Gelegenheit, zu zeigen, was er oder sie so anfängt mit MLT.

Wir spielen ein Kinder-Spiel und hören dabei eine gesungene Melodie, merken, wie wir uns ganz unbewusst von der Melodie leiten lassen. Ein Ball rollt durch den Kreis und entlockt uns Echos auf die Pattern der Leiterin. Wenn jemand ganz anders antwortet, nimmt sie das auf und formt daraus etwas Neues, etwas, das wieder zu ihrem Ziel passt, das sie mit uns hat. Dann sind wir selbst Lernende und ich darf eine Melodie von mir zeigen. Es ist kniffelig für mich, die Audiation der andern zuzulassen, nicht zu viel „zu verraten“. Beim vorsingen mal Teile weg lassen, aber trotzdem audiieren. Immer alle mitnehmen, obwohl die „nur hören“. Dann üben wir nur den Rhythmus. Kann ich den Rhythmus spontan auch mit relativen Silben vorsprechen? Das überrascht mich, aber es geht und hilft tatsächlich. Als die Gruppe plötzlich meine Melodie singen kann, dazu auch die Basslinie und dabei in fließender Bewegung sich zum melodischen Rhythmus bewegt, bin ich erschöpft und glücklich. So lang hat es gar nicht gedauert.

Wie ein guter Geist trägt auch Claudia durch diesen Prozess. Sie ist Teilnehmer, und dann doch manchmal kurz auf der Seite des Leiters, gibt kurze methodische Hinweise, Perspektivwechsel, Rückmeldung, wie noch mehr Authentizität heraus kommen kann. Dabei fühlt sich keiner zurückgestoßen. Jede Bemerkung von ihr ist eine Einladung, besser zu werden, mehr Zutrauen zum eigenen Handeln zu bekommen. Es ist nach den Übungen auch Raum für uns alle, Feedback zu geben. Interessanter Weise hat (noch?) niemand eine (Film-)Aufnahme davon dabei, wie er in der Realität seiner Beschäftigung mit all dem umgeht. So findet die Supervision eben am lebenden Objekt statt. Ehrlich gesagt bin ich aber auch sehr froh, die Gelegenheit zu haben, Schüler zu sein. Wie wichtig ist es für mich zu wissen, was da passiert in denen, die nach Gordons Prinzipien zur Musik geführt werden.

So geht es weiter und alle haben die Möglichkeit, sich zu zeigen, zu beobachten, kennen zu lernen. Im Anschluss zeigen wir uns gegenseitig noch Material. Claudia hat verschiedene Bücher dabei, die für die Praxis Orientierung bieten können. Wir könnten noch ganz viel reden über Sinn und Zweck von MLT, über Erfahrungen mit einzelnen Schülern, Momente, in denen wir nicht weiter wussten. Doch gleichzeitig sind wir auch müde und erfüllt und ich habe für mich das Gefühl, einen ganzen Korb neuer Erfahrungen mit nach Hause zu nehmen. Heute ist manches davon noch da, anderes noch nicht wieder aufgetaucht. Was wir beim Goron-Jam gelernt haben, hat seine eigene Zeit, so wie Lisa es uns über die Erfahrung mit ihrer Einheit gesagt hat: „Was Ihr jetzt erfahren habt, kommt vielleicht morgen wieder, oder es kommt gar nicht, oder in zwei Jahren wieder in euer Bewusstsein.“

Zum Schluss sehen wir doch noch ein Video: Claudia zeigt uns eine Sequenz aus ihrer Unterrichts-Praxis, die motiviert, weil sie zeigt, dass da tatsächlich etwas am Entstehen ist, das für uns alle Musik im eigentlichen Sinn ist. Ich schaue gerne zu diesem Tag zurück: Zutrauen in mein eigenes Handeln, Mut dazu, Spontaneität zu gebrauchen, um Grenzen zu überwinden, Anerkennung für das, was ich schon gelernt habe und immer wieder von neuem: die Überzeugung, dass das, was Edwin E. Gordon da entdeckt und erforscht hat, etwas für alle ist, wofür es sich lohnt, sich anzustrengen.