Gordon prägte den Begriff Audiation in den 1970er Jahren, um zu eindeutiger und präziser Begrifflichkeit beizutragen. Er definiert es als „Hören und Verstehen von Musik, die nicht physikalisch erklingt (Audiation: hearing and understanding music without physical sound)”. Verstehen meint hierbei die Fähigkeit, (in) Musik zu denken und das gehörte Phänomen in einen musikalisch-syntaktischen Gesamtzusammenhang einordnen zu können. Der Begriff findet auch in Deutschland in Ermangelung eines deutschen Äquivalents, als „Audiation” Verwendung. Das zugehörige Verb audiieren1 (to audiate) wurde in Anlehnung an übliche Wortbildungsgesetze und nach Rücksprache mit der Dudengesellschaft abgeleitet. Audiieren ist zu unterscheiden von auditiv wahrnehmen, imitieren, sich einprägen beziehungsweise auswendig lernen und von innerem Hören. Der Hauptunterschied zwischen Audiation und diesen mentalen Prozessen liegt darin, dass Audiation auf jeden Fall „verstehen” einschließt, was bei den anderen Phänomenen nicht unbedingt der Fall sein muß. Einige dieser Phänomene sind Teil des Audiationsprozesses (imitieren, auditiv wahrnehmen), andere wirken jedoch sogar kontraproduktiv zum Audiationsprozess (z.B. memorieren).

Inhaltlich umfasst die Entwicklung der Audiationsfähigkeit in erster Linie die systematische Vermittlung tonaler, harmonischer und rhythmisch-metrischer Inhalte, darüber hinaus jedoch auch Bereiche wie Intonation, Artikulation, Atmung‚ Zusammenspiel etc.

Preparatory audiation

Gordon differenziert zwischen audiation und preparatory audiation (vorbereitende Audiation). Preparatory audiation ist eine Vorstufe von und eine Vorbereitung für Audiation. Vorbereitende Audiation wird durch informelle (zwanglose) Unterweisung vermittelt, Audiation hingegen durch formelle (förmliche) Anleitung unterrichtet (Gordon 1997, S. 89). Kinder lernen ihre Muttersprache auf informellem, unstrukturiertem Wege durch tägliche Kommunikation mit den Eltern beziehungsweise ihrer Umwelt. Auch in Bezug auf Musik fordert Gordon grundlegendes informelles (und zwangloses) Lernen durch vorbereitende Audiation. Da die wenigsten Eltern die Voraussetzungen mitbringen, ihr Kind in gleichem Maße im musikalischen wie im sprachlichen Bereich zu fördern, hält Gordon es für sinnvoll, Kindern (und ihren Eltern) strukturierte und unstrukturierte informelle musikalische Förderung anzubieten.2 Die Bedeutung derartiger Förderung sollte im Zusammenhang mit der Music Learning Theory nicht unterschätzt werden, da Gordon davon ausgeht, dass aptitude sich mit dem 9. Lebensjahr verfestigt. Bis dahin wird das angeborene Begabungspotential durch Umwelteinflüsse bei geeigneter Förderung positiv und bei ausbleibender Förderung negativ beeinflußt.